Ende 2021 gehören 32,9 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung, d.h. ca. 2,96 Millionen, der Römisch-katholischen Kirche an. Die Konfessionslosen machen 32,3 Prozent aus, die Evangelisch-reformierte Kirche umfasst 21,1 Prozent der Wohnbevölkerung.
Die Katholische Kirche in der Schweiz ist organisatorisch in sechs Bistümer und zwei Gebietsabteien (Kloster Einsiedeln und Abtei Saint-Maurice [Die im Jahr 515 gegründete Abtei Saint-Maurice ist das älteste noch existierende Kloster im Abendland.]) aufgeteilt. Für die Regelung der Verhältnisse zwischen Kirche und Staat sind die 26 Kantone zuständig (staatliches Recht). Ausser in den Kantonen Neuenburg und Genf, wo Staat und Kirche getrennt sind, werden relevante Religionsgemeinschaften als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannt, als sog. Kirchgemeinden. Diese haben das Recht, die Kirchensteuern zu erheben, aber auch die Pflicht zur Schaffung von Legislativ-, Exekutiv- und Aufsichts- und Judikativ-Organen. Mit dem parallel geltenden Kirchenrecht bestehen zwei Hierarchien nebeneinander, eine geistliche und eine laikale (weltliche), welche rechtlich unabhängig agieren. Diese Doppelstruktur wird das duale System genannt. Die beiden Rechtssysteme sind nicht optimal aufeinander abgestimmt, und aufgrund von Kompetenzüberschneidungen entstehen immer wieder Konflikte.
Die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die sog. Landeskirche, sind eigentlich als subsidiäre Hilfskonstruktion für die Finanzierung der Diözesen und der Pfarreien gedacht. Diese vom Staat im Hinblick auf die Kirche geschaffenen Institutionen sind jedoch nicht primär Helfer des Bischofs bzw. des Pfarrers. Der Bischof ist gehalten, seine in vermögensrechtlicher Hinsicht bestehenden Anliegen bei der Landeskirche anzumelden. Diese entscheidet dann, ob dem stattgegeben wird oder nicht. Der praktische Einfluss der Landeskirche – ganz nach dem Motto: Wer zahlt, befiehlt - geht weit über die Vermögensverwaltung hinaus. Die Kirchgemeinden sind Anstellungsbehörde für das kirchliche Personal. Zwar erfolgt die Ernennung gemäss Kirchenrecht durch den Bischof, doch kann der Ernannte ohne zivilrechtlichen Arbeitsvertrag und ohne die Bereitstellung der für die Seelsorge erforderlichen Mittel nichts machen. Es ist ein Fall bekannt, in dem der damalige Bischof von Basel einen Pfarradministrator von seinem Amt suspendiert hat, die Kirchgemeinde diesen Priester aber weiterhin in der Pfarrkirche amtieren liess (in der Schweizer Presse wurden inzwischen seine pädophilen Neigungen bekannt). Der frühere Bischof von Basel, Kurt Koch, beschrieb im Jahr 2000 die finanzielle Abhängigkeit wie folgt: Er komme sich vor «wie eine kirchliche ‘Queen Elisabeth’, deren Haupttätigkeit nicht in der effektiven Leitung, sondern in der affektiven Repräsentation besteht». Bereits im Jahr 1993, anlässlich der römischen Feier der zehnjährigen Geltung des Gesetzbuches der Lateinischen Kirche (CIC) charakterisierte der damalige Offizial des Bistums Chur, Joseph M. Bonnemain, das staatskirchenrechtliche System der Schweiz als «demokratischen Volks-Josephinismus» und forderte die Abschaffung der «Landeskirchen».
Das direkt-demokratische Element in der Landeskirche darf nicht überschätzt werden. In der Regel sind die Kirchgemeindeversammlungen sehr schlecht besucht, so dass einige wenige Versammlungsteilnehmer über mehrere Tausend Kirchenmitglieder bestimmen.
Seit Jahren bewegen sich die Austritte aus dem staatskirchenrechtlichen System auf einem Niveau von 1 bis 2 Prozent, mit steigender Tendenz. Die Austritte wären prozentual höher, wenn in den vergangenen Jahren nicht viele Katholiken in die Schweiz eingewandert wären; 40 Prozent der Katholiken haben einen Migrationshintergrund. Das Schweizerische Bundesgericht hat mit Urteil vom 9. Juli 2012 klargestellt, dass der Austritt aus der staatsrechtlichen Körperschaft nach staatlichem Recht erfolgt und sich allein auf die weltliche Wirkung bezieht. Gemäss Authentischer Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 13. März 2006 (Prot. N. 10279/2006, Julian Kardinal Herranz) kann der rechtlich-administrative Akt des Abfalls von der Kirche aus sich heraus nicht einen formalen Akt des Glaubensabfalls in dem vom CIC verstandenen Sinn konstituieren, weil der Wille zum Verbleiben in der Glaubensgemeinschaft bestehen bleiben könnte.
Mit den weitgehenden Eingriffsmöglichkeiten in die inneren Angelegenheiten der katholischen Kirche, ist die Landeskirche zu einer Gegenkirche geworden und hat die Entwicklung der katholischen Kirche in der Schweiz massgeblich beeinflusst. Viele der Forderungen, welche im Synodalen Weg in Deutschland thematisiert werden, sind in den deutschsprachigen Bistümern der Schweiz bereits seit Jahrzehnten umgesetzt.
Das duale System hat vielfach dazu geführt, dass es auf der Ebene der Pfarreien den Pfarrer im kanonischen Sinn gar nicht mehr gibt. Von insgesamt 2042 Seelsorgenden (in allen Bistümern) sind 760 Laientheologen. Viele Kirchgemeinden werden von Laientheologen geleitet. Es gibt Pfarreileiter, die priesterliche Zelebrationen nicht oder nur selten zulassen, mit dem Vorwand eines vorherrschenden Priestermangels. Faktisch sollen jedoch ihre laikalen Wortgottesdienste mit Kommunionausteilung nicht in Frage gestellt werden.
Die Bischöfe erteilen allen Gemeindeleitern die Beauftragung, in der Eucharistiefeier zu predigen sowie Tauf- und Trauungsfeiern zu leiten. Wortgottesdienste mit Kommunionausteilung sind weit verbreitet: An den Sonntagen machen sie im Bistum Basel 36 Prozent aus, im Bistum St. Gallen 29 Prozent, im Bistum Chur 9 Prozent. Beachtenswert ist, dass die Wortgottesdienste in den anderen Bistümern praktisch inexistent sind. Mit diesen personellen Vorkehrungen und dank der nach wie vor grosszügigen finanziellen Ausstattung der Kirchgemeinden kann der Betrieb aufrechterhalten werden. Mit zahlreichen Events kann man noch einige wenige Menschen anlocken. Gleichzeitig haben sich zahlreiche Pfarreien inhaltlich immer mehr entleert, und zwar mit einer Distanzierung vom Evangelium und mit einer sinkenden Wertschätzung der Sakramente. Es herrscht vielerorts eine Gottverlorenheit und eine Scham vor, zur römisch-katholischen Weltkirche zu gehören. Themen wie Umweltschutz, Gleichberechtigung, Oekumene, etc. etc. nehmen einen weiten Raum in den Kirchgemeinden ein.
In den geschaffenen Pastoralräumen, welche mehrere Pfarreien umfassen, sind die Ressourcen von Priestern vor allem für die liturgischen Feiern gefragt. Als «eingeflogener» Priester ist es jedoch kaum möglich, einen Bezug zur Gemeinde aufzubauen und sich in allen Grundfunktionen der Kirche einzusetzen. Damit wird die Attraktivität des Priesterdienstes stark geschmälert.
Durch die bereits erwähnten finanziellen Möglichkeiten der Kirchgemeinden ist der Betrieb für die kommenden Jahre sichergestellt. Dennoch haben nur noch wenige Kirchenmitglieder Kontakt mit der Kirchgemeinde und besuchen den sonntäglichen Gottesdienst. Wie hoch der Anteil der praktizierenden Katholiken ist, lässt sich nicht eruieren, denn in der Schweiz gibt es keine Zählung der Gottesdienstbesucher.
Wenn man einen Gottesdienst in einer Pfarrei in einem der deutschsprachigen Bistümer besucht, die man nicht kennt, weiss man nicht, ob man eine Liturgie in der Einheit der Kirche antrifft. In den letzten Jahren sind an vielen Orten liturgische Missbräuche zum Alltag geworden. Mit einem Schreiben an alle Seelsorgenden haben die Bischöfe der Bistümer Basel, Chur und St. Gallen im Januar 2023 dazu aufgerufen, die Liturgie nicht zum Experimentierfeld persönlicher Vorhaben zu machen.
Glücklicherweise findet man auch in der Deutschschweiz noch zahlreiche Inseln, wo der katholische Glaube mit Freude gelebt und weitergegeben wird und wo Eucharistiefeiern mit grosser Würde gefeiert werden. In der Regel muss man bereit sein, einige Kilometer zu fahren. Nicht zu vergessen sind in der Schweiz die Klöster, welche grosse spirituelle Zentren darstellen.
Als Beispiel nehmen wir einen polnischen Katholiken, der sich für einige Wochen in der Schweiz aufhält. Er möchte am Sonntag die heilige Messe besuchen und findet sich dann in einem Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung, der von einer Theologin geleitet wird. Diese Form des Gottesdienstes ist für ihn völlig unbekannt. Er sucht nach einer Alternative und findet in einer Distanz von 15 Kilometern eine Messe im alten Ritus. In diesem Ritus erkennt er die Messe wieder, wie sie in Polen gefeiert wird.
Eine Katholikin besucht die Messe in einem Kloster an ihrem Wohnort, da in der Pfarrkirche unter der Woche keine Gottesdienste stattfinden und an den Sonntagen die Gemeindeleiterin einen Wortgottesdienst feiert. Nun zeigt sich aber, dass der Priester dieser Ordensgemeinschaft die Messe immer ohne Messbuch, d.h. nach freien Stücken, feiert. Er spricht das eucharistische Hochgebet in eigenen Worten und lädt jeweils alle Anwesenden, unabhängig von der Taufe, zur Kommunion ein. Ein Gespräch mit dem Ordensmitglied zeigt keine Wirkung. In einer rund 20 km vom Wohnort entfernten Pfarrei findet diese Katholikin glücklicherweise einen Gottesdienst in der Einheit mit der Kirche.
Nehmen wir ein Beispiel einer Familie, deren Tochter den Erstkommunionunterricht in der eigenen Kirchgemeinde besucht. In den Vorbereitungskursen findet keine Glaubensvermittlung statt. Als Vorbereitung für die Erstkommunion werden die Eltern und Kinder im afrikanischen Tanz, zum Basteln und Töpfern angeleitet. Auf der Suche nach einer anderen Möglichkeit zur katholischen Unterweisung der Tochter und zur Vorbereitung der Erstkommunion stösst der Vater auf die Priester der Petrusbruderschaft. Diese erteilen Katechesen zur Vorbereitung der Erstkommunion und zur Firmung. Zudem werden für die Erwachsenen regelmässig Glaubenskurse angeboten.
Mit den knapper werdenden Finanzen werden in den staatlichen Schulen und in den Kirchgemeinden zuallererst die Angebote im Bereich der Glaubensvermittlung reduziert. Dies ist auch eine Folge davon, dass es immer mehr konfessionslose Eltern gibt, welche den Religionsunterricht als reine Zeitverschwendung betrachten und ihr Kind vom Religionsunterricht abmelden.
Ein deutscher Katholik, der durch sein Studium die italienische Sprache beherrscht, geht regelmässig in die Gottesdienste der italienischen Mission, da ihm die Wortgottesdienste fremd sind. Die Missionsgemeinden sind für die Seelsorge von Menschen aus anderen Sprachgebieten und Kulturen da. Diese Gemeinschaften werden meistens von Diözesanpriestern und Ordensangehörigen aus dem jeweiligen Kulturkreis geleitet. Die Gottesdienste dieser Missionen finden in den Kirchen der territorialen Pfarreien statt. Gläubige mit Migrationshintergrund besuchen die Gottesdienste in der Regel nicht in den Ortspfarreien, sondern in den Missionen.
Nehmen wir ein Beispiel eines kranken Mannes im Spital, welcher nach dem Sakrament der Krankensalbung bittet. Seine Frau bat die Spitalleitung darum, einen Priester für die Krankensalbung zu rufen. Zwei Tage später kam ein reformierter Pfarrer. Sie musste sich danach selber um einen Priester bemühen, der die Krankensalbung spendete. In einem anderen Spital kam anstelle des Priesters eine Spitalseelsorgerin. Mit der Nachfrage nach einem Priester konfrontiert, erklärte die Spitalseelsorgerin, dass seit Jahren kein Priester mehr dieses Spital besucht habe. Sie könne auch eine Salbung vornehmen, sie hätte dazu die Erlaubnis des Bischofs, welche sie auch vorweisen könne. Wenn ein Priester gewünscht sei, müsse dieser selbst organisiert werden.