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Über Segnungen: Einige Überlegungen zu Fiducia Supplicans

Die Erklärung Fiducia Supplicans hat bei vielen Gläubigen große Verwirrung ausgelöst. Verschiedene Interpretationen kursierten: „Großartig, der Papst gibt Segnungen für homosexuelle Partnerschaften frei!“ „Die Erklärung geht uns nicht weit genug, wir wollen endlich kirchlich heiraten!“ „Großartig, der Papst erteilt den Forderungen nach kirchlicher Trauung für Homosexuelle eine Absage und erklärt, was geht und was nicht!“ „Der Papst ‚erlaubt‘ Segnungen entgegen dem katholischen Glauben – und die Erklärung ist somit abzulehnen!“ Da ist es für viele schwer, sich zurechtzufinden, zumal die Glaubenskongregation, welche eigentlich strittige Fragen klären sollte, hier ein Dokument veröffentlicht hat, welches selbst der Interpretation bedarf. Die allgemeine Verwirrung war auch aus den zahlreichen Anfragen abzulesen, welche wir erhalten haben. Einen konkreten Aspekt möchten wir daher theologisch genauer beleuchten.

Die Pressemitteilung über die Rezipierung der Erklärung Fiducia supplicans spricht von einem pastoralen, nicht-liturgischen, Segen, der zwischen 10 und 15 Sekunden dauert. Dies kann zu humoristischen Auswüchsen unter Einsatz von Stoppuhren führen, wichtiger ist jedoch diese zentrale Frage: Was sind nicht-liturgische priesterliche Segnungen? Findet sich so etwas in der Apostolischen Tradition oder hat Kardinal Fernández hier eine neue Kategorie eingeführt?

Der Dogmatiker Franz Josef Diekamp, Autor der bedeutendsten thomistischen Dogmatik im deutschsprachigen Raum, schreibt zu den Sakramentalien:

„‚Die Sakramentalien sind Sachen oder Handlungen, deren sich die Kirche in gewisser Nachahmung der Sakramente zu bedienen pflegt, um auf Grund ihrer Gebete Wirkungen vor allem geistlicher Art zu erlangen‘ (CIC 1144) [Er bezieht sich auf den CIC/1917.]

[…]

Sakramentalien sind:

1. die sinnreichen und ehrwürdigen Riten bei der Spendung der Sakramente […]

2. selbstständige religiöse Handlungen (Weihungen, Segnungen, Exorzismen) oder der religiöse Gebrauch geweihter oder gesegneter Sachen (Weihwasser, geweihte Kerzen, liturgische Gewänder usw.); hier erklärt sich der Name Sakramentale durch die Ähnlichkeit mit den Sakramenten;

3. die geweihten oder gesegneten Gegenstände selbst.

Die Sakramentalien sind von den Sakramenten wesentlich verschieden:

1. Durch ihre Einsetzung, die nicht nur durch Christus, sondern auch durch die Kirche geschehen kann […]

2. Durch ihre Wirkungen. Teils bewirken sie eine objektive, dingliche Heiligkeit der geweihten Personen oder Sachen, teils verleihen sie zeitlichen Segen, Gedeihen der Früchte, Gesundheit u. dgl., gewähren Schutz vor Anfechtungen des Teufels, erwirken fürbittweise aktuelle Gnaden, durch welche fromme Gedanken, Wünsche und Vorsätze wachgerufen werden. Auf diesem Wege können die Sakramentalien auch zur Reue führen, die den Nachlaß läßlicher Sünden und zeitlicher Sündenstrafen verursacht […]. Sie reichen aber an die Wirkungen der Sakramente, die unmittelbar zur Vergebung der Todsünden und Tilgung der ewigen Strafen, zur Erteilung oder Vermehrung der heiligmachenden Gnade eingesetzt sind, nicht entfernt heran.

Darum sind sie auch nicht heilsnotwendig. […]

3. Durch ihre Wirkungsweise.

a) Ex opere operato [aufgrund der Zusage Gottes und der jeweiligen Heiligen Handlung, unabhängig von der Würdigkeit des Spenders; die Redaktion] wirken die konstitutiven Weihungen und Segnungen […].

b) Die invokativen Segnungen d.h. solche, die leibliche oder geistliche Wohltaten erflehen, und die Exorzismen wirken ex opere operantis. Ihre Kraft kommt von ihrem andächtigen Gebrauche. Insoweit sie Heiligungsgnade vermitteln, geschieht es dadurch, daß sie die Empfänger zu frommer Disposition auf die Gnade anregen. Sie haben aber auch durch das Gebet der Kirche, die sie einsetzt und anwendet, eine Kraft der Fürbitte vor Gott, die zu der Kraft jenes opus operantis der Gläubigen noch hinzukommt. Man kann sagen, daß das opus operantis ecclesiae bei dem Gebrauche dieser Sakramentalien eine Wirksamkeit nach Art des opus operantum ausübt, aber nur dann, wenn durch das subjektive fromme Bemühen des Spenders oder Empfängers die Vorbedingung dafür erfüllt wird.“[1]

Segnungen fallen unter die zweite Kategorie der Sakramentalien: selbstständige religiöse Handlungen. Neben einigen konstitutiven Personalbenediktionen, wie der Abtsbenediktion oder der Jungfrauenweihe, die eine dauerhafte Gnade und Amtsgnade verleihen, sind die meisten Personensegnungen, die bestimmte zeitliche Gnaden erbitten und vermitteln, invokativ, sie wirken also ex opere operantis, Kraft der Fürbitte der Kirche und des Glaubens.

Der Moraltheologe, Liturgiewissenschaftler und Pastoraltheologe Dr. Ferdinand Probst, Lehrstuhlinhaber in Breslau und Autor insbesondere zahlreicher liturgiehistorischer Werke, ordnet die Benediktionen eindeutig den Sakramentalien zu; eine Benediktion, die keine Sakramentalie ist, kennt er nicht.[2] Da die Sakramentalien der kirchlichen Verwaltung unterstehen, gilt dann auch: „Es steht dem Priester nicht zu, das Kreuzeszeichen und den Namen Jesu mit beliebigen Gebeten und Beschwörungen zu verbinden und so die Benediktion zu vollziehen, sondern die Kirche gibt ihm den Modus der Benediktion durch Abfassung bestimmter Formularien, an die er sich zu halten hat.“[3]

Wir müssen einen letzten Aspekt beachten: Während jeder Gläubige den Segen Gottes über jemanden erbitten kann, so kommt die Spendung des Segens im engeren Sinne demjenigen zu, der die dazugehörige Autorität hat. Diese kann natürlich sein, etwa wenn ein Vater seine Kinder segnet, aber auch übernatürlich. Dies trifft zu, wo die natürliche Institution der Familie durch das Sakrament der Ehe in den Bereich des Übernatürlichen erhoben wurde. Außerdem trifft es auf die Autorität zu, welche dem Priester gemäß seiner Weihe zukommt.[4]

Wenn der Priester also nicht nur als Privatperson eine Segensbitte an Gott richten soll, so muss er als Priester, als Amtsträger, segnen. Der priesterliche Segen aber ist, wie wir gesehen haben, gemäß der Tradition eine Sakramentalie. Somit ist er per definitionem eine actio liturgica.

Wir erinnern uns an das von Kardinal Fernandez angeführte Beispiel:

„Da einige die Frage aufgeworfen haben, wie ein solcher Segen aussehen könnte, wollen wir ein konkretes Beispiel betrachten: Stellen wir uns vor, dass inmitten einer großen Wallfahrt ein geschiedenes Ehepaar in einer neuen Verbindung zum Priester kommt: ‚Bitte gib uns einen Segen, wir finden keine Arbeit, er ist sehr krank, wir haben kein Haus, das Leben wird sehr beschwerlich: Gott möge uns beistehen!‘.

In diesem Fall kann der Priester ein einfaches Gebet wie das folgende sprechen: ‚Herr, schau auf diese deine Kinder, gib ihnen Gesundheit, Arbeit, Frieden und gegenseitige Hilfe. Befreie sie von allem, was deinem Evangelium widerspricht, und gib ihnen, dass sie nach deinem Willen leben. Amen‘. Und er schließt mit dem Kreuzzeichen über einen jeden von ihnen.[5]

Hier entstehen verschiedene Fragen: Woher weiß der Priester überhaupt, dass einer der Partner mit jemandem anderem kirchlich verheiratet ist? Muss er vor jedem Segen fragen: „Befinden Sie sich eigentlich in einer irregulären Situation? Dann kann ich nämlich nur einen Segen aus pastoraler Fürsorge geben, keinen liturgischen.“

Wichtiger für uns ist eine andere Frage: Inwiefern unterscheidet sich dieser „pastorale Segen“ praktisch von einem persönlichen Fürbittgebet, an das eine Personalbenediktion in Kurzform angeschlossen wird? Die Glaubenskongregation hat in der Vergangenheit immer wieder klargestellt, was schon immer galt. Sie kann grundsätzlich auch klarstellen: „Es ist sowohl erlaubt, Menschen, die in dauerhafter Sünde leben, ins Gebet einzuschließen, als auch, ihnen eine Personalbenediktion zu erteilen.“

Warum aber steht dann in der Pressemitteilung etwas anderes? Ein persönliches Gebet ist normalerweise nicht zeitlich beschränkt. Eine gewöhnliche Personalbenediktion kann über mehrere Menschen auf einmal erfolgen, unabhängig von ihren Lebenssituationen. Hier jedoch scheint das persönliche Gebet zum Segen, der nicht liturgischer Art ist, zu gehören, zudem ist es zeitlich begrenzt.

Wir haben keinen Hinweis gefunden, dass ein nicht-liturgischer Segen eine Kategorie ist, welche Kardinal Fernández vorgefunden hat, wohl aber Hinweise für das Gegenteil. Wenn er eine solche Kategorie jetzt einführt, so liegt die augenscheinliche Notwendigkeit dazu wohl in der Natur der irregulären Situationen, um die es geht. Dennoch bleibt, insbesondere anhand des Fallbeispiels, unklar, was mit der „Einführung“ einer der Tradition allem Anschein nach nicht bekannten Kategorie konkret bezweckt wird.

Die Aufgabe der Glaubenskongregation besteht darin, Unklares zu klären, Fragen zu beantworten und den Glauben gemäß der Überlieferung hochzuhalten. Aus pastoralen Gründen wäre es wünschenswert, dass sie darauf verzichtet, neue Fragen aufzuwerfen, welche unter den Gläubigen nur Verwirrung stiften können. Was bleibt aber für den einfachen Gläubigen zu tun, dem oftmals nicht die Mittel zur Verfügung stehen, sich systematisch durch die Verwirrung zu arbeiten? Eines bleibt immer: Die Rückbesinnung auf den Glauben, wie er überliefert wurde. Es ist sicher nicht heilsnotwendig, die Gedankengänge von Kardinal Fernández zu durchschauen. Was der katholische Glaube etwa zur Ehe grundlegend besagt, kann in jedem guten Katechismus in einfachen und klaren Worten nachgelesen werden. Katholisch zu sein, ist kein Rätselraten und nicht den Akademikern vorbehalten. Und auch dem Akademiker tut es gut, sich hin und wieder auf die einfachen Grundsätze zurückzubesinnen, damit diese nicht über seinen Spekulationen in Vergessenheit geraten.



[1] Diekamp, Katholische Dogmatik, Dritter Band, Münster3-51922, 62 - 64.

[2] vgl. Probst, Kirchliche Benediktionen, Tübingen 1857, 33.

[3] ebd. 88.

[4] vgl. Diekamp, Dogmatik, 318.

[5] https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_ddf_doc_20240104_comunicato-fiducia-supplicans_ge.html [Abgerufen: 02.03.2024]