Als Interviewpartnerin konnten wir Schwester Anna Mirijam Kaschner CPS (Missionsschwestern vom Kostbaren Blut) gewinnen. Sie ist eine deutsche Ordensfrau und seit 2009 Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, der die Bischöfe aus Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland und Island angehören.
Maria 1.0: Im März 2022 wandten sich die Bischöfe der Nordischen Bischofskonferenz schriftlich an Bischof Georg Bätzing, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Der Brief, den auch Sie unterschrieben haben, bringt die Sorge um die Richtung, die Methodik und den Inhalt des deutschen synodalen Weges zum Ausdruck. Der synodale Weg ist nun abgeschlossen. Sehen Sie Ihre Sorge bestätigt?
Schwester Anna Mirijam:Im Grunde besteht unsere geäußerte Sorge nach wie vor. Einige Texte, die jetzt mehr als Bitte an den Papst und nicht als Forderung formuliert werden, wurden durch Intervention der Bischöfe entschärft und somit wohl annehmbar gemacht. Dennoch gilt: Insbesondere die weitere Verfolgung der Einrichtung eines Synodalen Rates – der ja durch den Synodalen Ausschuss vorbereitet werden soll – und die damit gegen den Beschluss des Papstes steht, bereitet uns Sorgen. Es stimmt, dass viele der Themen des Synodalen Weges – Rolle der Frau, Beteiligung von Laien, Umgang mit Menschen anderer sexuellen Orientierung, Umgang mit Macht usw. – auch anderswo diskutiert werden, aber die Vehemenz, die Schärfe und der Druck, mit dem dies beim Synodalen Weg debattiert und beschlossen wurde, ist nach wie vor besorgniserregend, weil dies die Polarisierung unter den Gläubigen fördert.
Maria 1.0: Was fehlte Ihnen ganz konkret beim synodalen Weg?
Schwester Anna Mirijam: Mir persönlich hat von Beginn an die Einbeziehung des ganzen Volkes Gottes gefehlt, so wie es z.B. beim weltweiten synodalen Prozess geschehen ist. Eine echte Synodalität bedeutet das gemeinsame Miteinander-Gehen. Beim Synodalen Weg in Deutschland waren von Beginn an die Vertreter ausgewählt – auch nach ihrer kirchenpolitischen Einstellung, und damit wurden Mehrheiten und Minderheiten geschaffen. Das hat dem gesamten Prozess meiner Meinung nach nicht gutgetan.
Ein weiterer Punkt, der meines Erachtens gefehlt hat, ist das wirkliche Hören aufeinander ohne gleich Reaktionen auf das Gehörte zu geben – in Form von Unmutsäußerungen, Beifall oder anderen Reaktionen. Dadurch wurde ein Druck aufgebaut, der für synodale Prozesse generell schädlich ist. Auch Zeiten der Stille und des Gebetes haben mir gefehlt. Es geht schließlich um die Sache Gottes – und wenn ER keine „Redezeit“ bekommt, ist es leicht, an Ihm vorbeizureden.
Gefehlt hat mir auch das Eingehen auf den Brief von Papst Franziskus an das Volk Gottes in Deutschland. Wenn der Papst extra einen Brief an ein Land schreibt und darin Bezug nimmt auf das Projekt des Synodalen Weges, dann muss dieser Brief auch beachtet werden, seine Inhalte mit einfließen.
Wenn sich eine Kirche in Deutschland auf den Weg der Erneuerung macht, dann muss meines Erachtens auch gefragt werden, wie es sein kann, dass so viele Gläubig heutzutage die Grundlagen des christlichen Glaubens nicht mehr kennen. Wie kommt es, dass mehr und mehr Menschen aus der Kirche austreten, auch schon vor Bekanntwerden der Missbrauchsfälle? Wie kann es sein, dass getaufte und gefirmte Katholiken nicht mehr wissen, was wir an Ostern oder Weihnachten feiern? Diese Fragen habe ich vermisst und auch Ansätze für eine Glaubensvertiefung. Es hätte mich mehr überzeugt, wenn zeitgleich zum Synodalen Weg mit seinen strukturellen Veränderungsversuchen eine über mehrere Jahre hinweg angelegte Neuevangelisierungskampagne gestartet worden wäre. Ich bin nicht davon überzeugt, dass die Gläubigen in den Gemeinden die Strukturfragen der katholischen Kirche in Deutschland so sehr beschäftigen, dass sie deswegen in der Kirche bleiben – oder dass Ausgetretene wieder in die Kirche eintreten werden.
Maria 1.0: In seinem Antwortbrief versicherte Bischof Bätzing, keinen deutschen Sonderweg gehen zu wollen. Nichtsdestotrotz hat die Synodalversammlung beschlossen, Segensfeiern für homosexuelle Paare zu ermöglichen. Muss das nicht irritieren?
Schwester Anna Mirijam: Der Beschluss der Synodalversammlung ist sicher ein Affront gegen die Entscheidung aus Rom, und Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin hat sich bereits dahingehend geäußert, dass eine Ortskirche eine solche Entscheidung nicht allein treffen kann. Die Synodalversammlung hat beschlossen, dass bis zum Jahr 2026 Rituale und liturgische Handreichungen für eine solche Segensfeier erarbeitet werden sollen. Hier bleibt abzuwarten, wie eine solche Segensfeier konkret aussehen soll. Außerdem hat sich bis dahin sicher auch der synodale Weltprozess, den Papst Franziskus initiiert hat, mit dieser Frage beschäftigt.
Maria 1.0: Werfen wir einen Blick auf den weltweiten synodalen Prozess: Wie waren Ihre Erfahrungen in den nordischen Ländern? Wie wurde das synodale Vorgehen vor Ort aufgenommen?
Schwester Anna Mirijam: In unseren Bistümern wurde der synodale Weltprozess sehr positiv aufgenommen. Es ist uns insbesondere in allen unseren Ländern gelungen, die erste Befragung des Volkes Gottes bis hinein in die einzelnen Gemeinden zu tragen und von hier die Antworten zu sammeln. Dies hat ein großes Engagement der Ehrenamtlichen erfordert, aber die Rückantworten zeigten, dass sich die Gemeinden sehr intensiv mit den Fragen beschäftigt haben.
Maria 1.0:Delegationen von 39 Bischofskonferenzen trafen sich vom 5. bis 9. Februar in Prag anlässlich der kontinentalen Phase des weltweiten synodalen Prozesses für die Region Europa. Wie haben Sie diese Tage erlebt und was blieb Ihnen davon im Gedächtnis?
Schwester Anna Mirijam: Die Tage in Prag waren sehr intensiv und gefüllt. Das lag zum einen an den vielen Berichten der Bischofskonferenzen, zum anderen auch daran, dass die Erfahrungen mit und zu kirchlichen Themen in Europa sehr unterschiedlich sind. Es gab Äußerungen, die Homosexualität an sich als Sünde bezeichneten, andere, die die Ehe für alle forderten. Im Gedächtnis geblieben ist mir insbesondere die Vorgehensweise. Es ging ums Zuhören, nicht allein um das Hören oder Hinhören, sondern wirklich um ein echtes Zuhören – unter der Fragestellung: Was will Gott uns sagen? Dazu gab es jeweils nach vier Berichten der Bischofskonferenzen eine Gebetsstille, die ich sehr zu schätzen gelernt habe. Hier konnte das Gehörte nachklingen und ins Gebet genommen werden. In dieser Gebetszeit hatte Gott „Redezeit“.
Nach den ersten eineinhalb Tagen hatte ich aufgrund der so unterschiedlichen Erfahrungen und Berichte aus den Ländern den Eindruck, wir würden niemals einen roten Faden in all dem finden können. Aber erstaunlicherweise gelang es am Schluss dennoch, eine Richtung zu erahnen. Es gab eine Reihe Themen, die in vielen Ländern vorkamen: die Stärkung der Rolle der Frau in der Kirche, die konsequente Aufarbeitung und Prävention von Missbrauchsfällen, die Frage nach mehr Einbeziehung der Laien usw., alles Themen, die auch beim Synodalen Weg behandelt werden. Dennoch war der Umgang mit diesen Themen anders. Im Unterschied zum Synodalen Weg in Deutschland gab es hier keine Zwischenrufe, keine spontanen Äußerungen von Unmut oder Beifall, sondern alle Berichte, Meinungen usw. konnten erst einmal ausgesprochen und gehört werden.
Nachmittags fanden Treffen in Sprachgruppen statt, die ebenfalls nicht für Debatten, Diskussionen, Auseinandersetzungen gedacht waren, sondern als ein „geistliches Gespräch“ geführt wurden. Hier ging es darum, den „roten Faden“ aus allem Gehörten zu erspüren und an das Plenum zurückzumelden.
Alles in allem hat die Versammlung in Prag keine „Ergebnisse“ geliefert, sondern gezeigt, dass wir gemeinsam auf dem Weg sind, der noch nicht zu Ende ist. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse der anderen Kontinentalversammlungen und bin zuversichtlich, dass sich dann die Richtung weiter zeigen wird.
Maria 1.0: Auf dem deutschen synodalen Weg wurde immer wieder betont, dass die deutschen Reformforderungen in vielen Punkten identisch mit Reformforderungen anderer Länder seien. Inwieweit können Sie dies für die nordischen Länder bestätigen?
Schwester Anna Mirijam:In unseren Ländern gibt es insgesamt – auch gesellschaftlich – sehr flache Hierarchien. In der Kirche existieren daher schon seit langem synodale Strukturen. Ohne Beteiligung und Mitarbeit von Ehrenamtlichen wäre kirchliches Leben gar nicht möglich. Natürlich gibt es vereinzelt Forderungen nach einer Stärkung der Rolle der Frau oder nach der Abschaffung des Pflichtzölibates. Aber insgesamt hat die Befragung unserer Gläubigen ergeben, dass es mehr um die Frage geht, wie man den Glauben in einer Minderheitenkirche bewahren und in einem säkularen Umfeld verkünden kann. Es wurde gebeten, mehr Anstrengungen für eine Katechese – nicht nur für Jugendliche und Kinder – zu unternehmen. Wir sind als Katholiken in allen Ländern eine absolute Minderheit. Manchmal ist nur ein Kind an einer Schule katholisch. Wie kann hier Gemeinschaftserfahrung gelingen? Wie können Kinder und Jugendliche zum Glauben geführt werden? Unsere Kirche wächst sehr stark aufgrund von Einwanderung und z.T. auch Konversionen. Wie können wir Menschen unterschiedlicher Nationen integrieren? Wo bekommen wir Kirchen und Gottesdienstorte her? Wir bekommen – außer in Schweden und Norwegen – so gut wie keine staatliche Unterstützung und sind eine arme Kirche in reichen Ländern. Die Frage der Finanzierung für unsere Priester, für Instandhaltung und Neubau von Kirchen ist immer eine Sorge, die uns beschäftigt.
Maria 1.0: Wollen Sie uns und den Gläubigen in Deutschland noch etwas mit auf den Weg geben?
Schwester Anna Mirijam: Es ist immer schwer, aus dem räumlichen und kulturellen Abstand heraus Ratschläge zu geben. Ich würde den Gläubigen wünschen, etwas Geduld zu haben und sich auf den weltkirchlichen Prozess einzulassen. Ich würde uns wünschen, dass wir die Polarisierung im kirchenpolitischen Diskurs verringern könnten und einander besser zuhören würden, im Bewusstsein, dass wir alle das Beste für die Kirche Jesus Christi wollen und alle gemeinsam auf dem Weg sind.
Maria 1.0: Vielen Dank Schwester Anna Mirijam für das Interview! Ihnen weiterhin alles Gute und Gottes Segen für Ihre Arbeit!