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Interview mit Matthias Wimmer - Betroffenenbeirat im Bistum Würzburg

Mit dem 11. März endete der sog. synodale Weg, doch es bleiben viele Fragezeichen. Überall wird darüber diskutiert, wie man nun mit den Beschlüssen des Synodalen Weges umzugehen hat, und einige Bistümer haben schon begonnen umzusetzen, zum Teil gegen die offizielle Lehre der katholischen Kirche oder den ausdrücklichen Wunsch des Heiligen Stuhls. Ursprünglich hatte es sich der synodale Weg ja zum Auftrag gemacht, einen Beitrag zur Missbrauchsaufarbeitung zu leisten. Aus unserer Sicht ist dies aber nur sehr bedingt gelungen. Aus diesem Grund möchte Maria 1.0 mit Betroffenen ins Gespräch kommen und mit Ihnen gemeinsam über „Katholisch Sein und Leben“ nach einem persönlich erlebten Missbrauch nachdenken. Als Einstieg zu diesem Thema konnten wir Matthias Wimmer, den Sprecher des Betroffenenbeirats des Bistums Würzburg, für ein Interview gewinnen.

Maria 1.0: Herr Wimmer, vielen Dank, dass wir mit Ihnen sprechen dürfen. Was bedeutet Ihnen Ihr katholischer Glaube?

Matthias Wimmer: Der katholische Glaube ist für mich das Wichtigste in meinem Leben. Er hat mich von Kindheit an geprägt und begleitet mich bis zum heutigen Tag – salopp gesagt – durch dick und dünn.

Maria 1.0: Sie wurden als Achtjähriger über einen Zeitraum von zwei Jahren von einem Priester missbraucht. Wie gelang es Ihnen, mit diesen Erfahrungen umzugehen, und wie haben Sie persönlich Heilung erfahren können?

Matthias Wimmer: Als Kind kann man mit so einer Erfahrung überhaupt nicht umgehen. Was da passiert ist, realisiert man erst viel später. Die Folgen von Missbrauch treffen den Menschen dann irgendwann mit voller Wucht oder es entwickelt sich in dir ein ganz langsam wachsendes Geschwür, das über kurz oder lang alles befällt.

Hilfe in dieser Situation bekam ich einzig durch meine Familie, die mir geglaubt hat, dass der Pfarrer das ihm Vorgeworfene getan hat. Im Unterschied zu anderen mir bekannten Fällen musste ich damals zweimal vor Gericht gegen den Missbrauchstäter aussagen. Einerseits war dies eine schlimme und schmerzhafte Erfahrung, vor völlig Fremden und noch dazu im Angesicht des Täters über solche Themen zu reden, andererseits habe ich früh gelernt, darüber zu sprechen, anstatt es in mich hineinzufressen. Ich denke im Nachhinein, dass das zumindest besser war, als wenn es erst im Erwachsenenalter durchbricht. Eine gewisse Heilung bzw. Versöhnung gerade auch mit der katholischen Kirche erfuhr ich durch den Nachfolgepfarrer, der mir und vielen anderen ein neues und v.a. positiveres Bild von Kirche vermitteln konnte. Darüber bin ich sehr froh und dankbar, denn Kirche und Glaube sind für mich nicht zu trennen.


Maria 1.0: Wie haben Sie die Missbrauchsaufklärung der Kirche erlebt und wie bewerten Sie das Bemühen der offiziell dafür zuständigen Stellen?

Matthias Wimmer: Hier muss ich in meiner Antwort unterscheiden:

Einerseits wurde mir und meiner Familie zur Tatzeit vor ziemlich genau 40 Jahren übel mitgespielt. Die Offiziellen des Bistums hüllten sich in Schweigen und versuchten, das Ganze abzutun. Die Pfarrei vor Ort spaltete sich in zwei Gruppen: Die einen glaubten den Erzählungen der Kinder (denn ich war ja kein Einzelfall), die anderen verteidigten den Täter vehement und taten alles als Hirngespinste ab.

Andererseits kam es Anfang 2000 dann doch zu Äußerungen der kirchlichen Verantwortlichen, aus denen man ablesen konnte, dass ein Umdenken stattgefunden hatte. V.a. seit dem Beginn der sog. Missbrauchskrise versucht man offensiv gegen Missbrauch vorzugehen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Dies nehme ich zunächst einmal positiv zur Kenntnis. Inwieweit diese Bemühungen ein echtes und ehrliches Bedürfnis oder nur auf Drängen der Öffentlichkeit ein notwendiges Übel sind, das abgearbeitet werden muss, ist mir noch nicht ganz klar.

Maria 1.0: Heute sind Sie Sprecher des Betroffenenbeirats der Diözese Würzburg und haben in dieser Funktion mit vielen Missbrauchsopfern zu tun. Was ist dort Ihre Aufgabe? Welche Bedürfnisse und Nöte sehen Sie bei den Betroffenen?

Matthias Wimmer: Zuallererst ist es unsere Aufgabe als Beirat, Menschen, die sexuellen Missbrauch in der Kirche erfahren haben, zu helfen und zu begleiten. Insbesondere müssen wir diese Menschen an die Hand nehmen und sie unterstützten – wenn es sein muss auch gegen die Diözesanverantwortlichen. Des Weiteren ist die Vernetzung der Betroffenen bayern- und bundesweit unser großes Anliegen. Ich als Sprecher durfte schon mehrmals an Treffen der bayrischen Beiräte teilnehmen, was mir den konkreten Einblick in diese schwierige Materie weitete. Wenn es zu aktuellen Vorfällen in Kirchengemeinden kommen sollte, bieten wir als Beirat Hilfestellungen an.

Die Betroffenen, die sich an uns wenden, fühlen sich meist allein gelassen und von der Kirche nicht ernst genommen. Da Missbrauchsbetroffene in Deutschland einen sog. Antrag auf Anerkennung des Leids stellen können, kommt es in vielen Fällen zu finanziellen Zahlungen, die leider nicht selten zu weiterem Leid und Retraumatisierungen führen, da die Auszahlungshöhe oft nicht dem erfahrenen Leid entspricht, geschweige denn es ungeschehen macht. Seit März dieses Jahres können Betroffene Einspruch gegen diese Bescheide einlegen, was sicher nicht Wenige tun werden. Grundsätzlich wäre mehr Offenheit und Transparenz in den Anerkennungsverfahren eine zusätzliche vertrauensbildende Maßnahme.

Maria 1.0: Der synodale Weg, der in Deutschland seit 2019 besteht, hat sich konstituiert, um auf die Missbrauchsfälle zu reagieren. Nun ist der SW zu einem vorläufigen Ende gekommen und wir möchten Sie gerne nach Ihrer Bilanz dazu befragen. Wie würden Sie grundsätzlich die Arbeit des SW in Bezug auf seine Zielsetzung - also die Aufarbeitung des Missbrauchs - bewerten?

Matthias Wimmer: Die aktuelle Berichterstattung spiegelt sehr deutlich, worum es im Eigentlichen ging: um Selbstdarstellung, Machtverschiebung und um Diskutieren um des Diskutierens willen. Das Thema Missbrauch wird in der Berichterstattung nur am Rande erwähnt und so war es meinem Empfinden nach auch bei den jeweiligen Sitzungen. Konkret die Segnung von „Paaren, die sich lieben“ wird ja als toller Fortschritt bejubelt, mit Missbrauchsprävention hat das aber leider gar nichts zu tun. Im Gegenteil, mir sträuben sich bei der Aussage eines Verantwortlichen des BDKJ „Liebe kann niemals Sünde sein“ die Haare. Womöglich dachte sich das der Pfarrer, der mich missbrauchte, damals auch. Ähnliches gilt für die übrigen Themen, für die der Missbrauch nur Mittel zum Zweck zu sein schien.


Maria 1.0: Im Rahmen der fünften Synodalversammlung gab es auch eine Performance unter dem Titel „verantwort:ich”, die dazu beitragen sollte, „ein Zeichen gegen Missbrauch zu setzen”. Bereits am Tag zuvor lagen im Rahmen dieser Performance im Dom Spiegel aus, in denen man sich selbst als Täter begegnen sollte. Die Performance selbst war so ausgerichtet, dass sich der Zuschauer mit dem Täter identifizieren sollte. Unter anderem nahmen an dieser Aufführung Menschen teil, die selbst mit sexueller Gewalt oder Missbrauch konfrontiert waren. Haben Sie diese Performance gesehen und wie haben Sie diese wahrgenommen?

Matthias Wimmer: Ich habe mir die Performance im Internet angesehen und war etwas verwundert über die Machart. Allein die Tatsache, dass die Besucher - darunter Missbrauchsopfer - sich im Spiegel als Täter begegnen sollten, zeigt, wie unüberlegt und weit weg von den Betroffenen hier geplant wurde. Die Performance selbst zeigte meines Erachtens mit manchen Szenen gut auf, wie sich Missbrauch und dessen Folgen im Menschen anfühlen. Allerdings fand ich befremdlich, dies in einem sakralen Raum darstellen zu müssen, der für viele Menschen ein Raum der Andacht und auch geistigen Schutzraum darstellt. In gewisser Weise war die Performance im Dom daher aus meiner Sicht schon wieder eine Art Missbrauch im geistlichen Sinne. Es wäre besser gewesen, die Performance zu Beginn des SW in der Sitzungshalle aufzuführen. Vielleicht hätte sich das Thema dann auch stärker in die Köpfe der Synodalen eingebrannt. Ich als Betroffener jedenfalls hätte auf diese Performance gut verzichten können.

Maria 1.0: Wurde in Ihren Augen mit dieser Performance ein Schritt in Richtung fruchtbarer Missbrauchsaufklärung geleistet, durch den sich Opfer verstanden und abgebildet fühlen können?

Matthias Wimmer: Das ist vermutlich stark von der Sichtweise eines jeden Betroffenen abhängig. Genauso wie von der jeweiligen Missbrauchserfahrung. Ich persönlich konnte mich und meine Erlebnisse nur teilweise darin wiederfinden.

Maria 1.0: Was ist Ihr Wunsch, wie Kirche sich in Zukunft aufstellt? Haben Sie einen Wunsch, wie auch andere Gläubige, die mit dem Thema persönlich nicht konfrontiert sind, an Heilung mitarbeiten oder grundsätzlich mit dem Thema umgehen lernen, dass Seelsorger zu Tätern geworden sind und sexueller Missbrauch vertuscht wurde, ohne dass sie dabei der Kirche den Rücken zukehren?

Matthias Wimmer: Gläubige müssen den Skandal des Missbrauchs ernst nehmen. Ein Herunterspielen darf nicht stattfinden. Opfer müssen gehört werden und das Vertrauen in die Kirche gegebenenfalls erst wieder finden. Dies kann nur geschehen mit einer Aufarbeitung in Wahrheit. Verbrechen müssen konsequent geahndet werden – natürlich auch unter Zuziehen der weltlichen Strafverfolgungsbehörden – wer auch immer der Beschuldigte sein mag.

Die Kirche ist aber mehr als eine weltliche Institution. Sie ist von ihrem Wesen her heilig. Dieser Heiligkeit sollten auch ihre Mitglieder nachstreben. Hieraus verbietet sich, dass man Verbrechen vertuscht, verniedlicht und abtut, da sich die Täter nicht nur am Menschen, der als Objekt des Täters missbraucht wird, versündigen, sondern auch an der Kirche und ihrem Gründer. Heilung und Versöhnung kann also nur geschehen, wenn die Täter und Vergehen benannt und ohne wenn und aber bestraft werden. Es sollte aber für alle Gläubigen klar sein: Nicht das Missbrauchsopfer schädigt die Kirche im Sinne, sondern ganz alleine der Täter und seine Helfer!

Maria 1.0: Vielen lieben Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben und mit uns ins Gespräch gekommen sind! Wir wünschen Ihnen von ganzem Herzen Gottes reichen Segen, im besonderen für Ihren wichtigen Dienst im Betroffenenbeirats Ihres Bistums.